Die Bücherin

Die Schauspielerin Felicia Day prägte in ihrem Blog das literarische Lemma der Vaginal Fantasy. Damit meint sie vor allem Geschichten, in denen ein junges Ding übernatürlich-softpornöse Abenteuer erlebt, bzw. der Leser durch diese Hoffnung bei der Stange gehalten wird. Marion Zimmer Bradley ist in diesem Genre eine Altvordere, Stephenie Meyer, Kalayna Price und ja, auch Charlaine Harris  ihre rechtmäßigen Erben.

Neben der Vorliebe für ausgefallene Vornamen verbindet Autorinnen obigen Schlages auch ein gemeinsames Faible für halberotische Pubertätsgeschichten, bei denen ein übernatürliches Wesen als Erfüllungsgehilfe sehnsuchtsvoller Teenagerträume zunächst zögerlich, dann aber um so entschlossener zur Tat schreitet. Die Geschichte ist immer gleich und ließe sich kurz zusammenfassen, wenn Verlag und Autorinnen nicht sofort und unweigerlich einen Vertrag über sieben Bücher abschließen würden. Aber im Grunde ist es doch so: Mädchen trifft Prinz, Prinz hat komische Freunde, Prinz verlässt Mädchen aus edlen Motiven, Mädchen beweist ihren Wert, Prinz und Mädchen landen im Bett. Ob Prinz und Konsorten jetzt Werwölfe, Vampire, Hexen oder linksdrehende Wassergeister sind, ist ein geschmackliches Detail. Schön düster muss es sein und das Mädchen ausreichend verzweifelt. Elementar ist außerdem ein verklemmtes Verhältnis zur Sexualität, das der minderjährigen Zielgruppe oder (im Falle Stephenie Meyers) dem religiösen Brauchtum der Autorin geschuldet ist. In diesem Sinne fungiert der mystische Grenzgänger dann gerne auch als Symbolfigur für die sexuelle Mündigkeit und ist (wie im Falle Edwards) ein zahnloser Softie ohne Trieb und Bedürfnis. Die weibliche Sexualität also als magisch-gefährliche Welt hinter den Spiegeln. Kann man mögen, muss man aber nicht. Der offizielle Begriff der deutschen Buchwirtschaft für diese Art Erzählung ist übrigens Romantasy, was die Sache aber auch nicht besser macht.

Weil heute aber Weltfrauentag ist, möchte ich die Aufmerksamkeit der geneigten Leserin auf eine andere Spielart der Trivialunterhaltung lenken, die man in Anlehnung an Days Diktum Vaginal History nennen könnte. History dabei allerdings in eher großzügiger Auslegung der Faktenlage und mit der archäologischen Akkuratesse eines Schaufelbaggers. Wer eine eher technische Asdrucksweise bevorzugt, kann übrigens auch von pseudofeministischer Erbaulichkeitsliteratur sprechen, da bin ich locker.

Vorhang auf also für den Dämlichen Roman: Schauplatz ist hier keine geheimnisvolle Anderswelt, sondern das finstre Mittelalter, die kriegsgebeutelte Neuzeit oder der dekadente Barock. Eine Zeit mithin, in der das Leben wenig, und das einer Frau noch viel weniger zu zählen scheint.

Aber halt: In diesen unruhigen, weibsfeindlichen und selbstherrlichen Zeiten gibt es eine Frau, die das Verzagen an genau jenen Nagel zu hängen gedenkt, den sie zuvor selbst in die Wand geschlagen hat. Zum Beispiel eine Kaufmannstochter. Oder eine Glasbläserin. Oder eine Wanderhure.

Der Plot ist immer gleich: Eine junge Frau, ehrbar, schön und lebensklug, möchte gerne ein selbstbestimmtes Leben als <Beruf> führen. Leider können in der finstren <Epoche> nur Männer ein solches Leben führen. Also macht sich die junge Frau auf, <verkleidet arbeitend> als <Beruf>, <trifft verliert> dabei die große Liebe und droht zu verzweifeln. Schließlich glaubt sie aber an sich selbst und findet zu ihrer wahren Bestimmung.

Wesentlich ist bei allen Romanen immer die Liebe zu einem Mann, die das selbstbestimmte Leben zu zerstören droht. Und natürlich die missgünstige Gesellschaft, oft in Form eines Adligen, eines Klerikers oder eines reichen Kaufmanns.

Bei der Wahl der Protagonistin wird jede Stufe der vormodernen Ständepyramide erklommen. So finden wir eher bürgerlich-merkantile Figuren, wie beispielsweise die genannte Kaufmannstochter oder – spezifischer – eine Gewürz-, Tee- und Goldhändlerin. Es gibt sogar eine Samenhändlerin, wobei letztere hoffentlich nichts mit der Wanderhure gemein hat. Aber auch der vermeintlich weiblichen Vorliebe für Süßigkeiten wird stattgegeben. Dann haben wir es mit einem Schokoladen- oder Marzipanmädchen zu tun, oder auch mit einer Zuckerbäckerin, einer Konfektmacherin oder einer Tortenbäckerin.

Wer es eher handwerklich mag, wird ebenfalls fündig: Solide Professionen wie Knopfmacherin, GewandschneiderinGoldschmiedin und -spinnerin oder Apothekerin haben Konjunktur, man findet allerdings auch Ausgefallenes wie eine BernsteinheilerinSchwertkämpferinHenkerin, TotenmagdWandersängerin, Kaffee- und BraumeisterinKoch- und Zeichenkünstlerin, Porzellan- und Eismalerin, sowie Wund- und Pestärztin. Und natürlich gibt es die Hebamme, die es im Knaur-Verlag immerhin auf eine “Saga in fünf Bänden” gebracht hat.

Wem solcherart Arbeiterprosa nicht zusagt, der schreibt feudal: Auch KöniginKaffeeprinzessinEifelgräfinSalzbaroninKastellanin und Kreuzritterin kämpfen für ihre Unabhängigkeit. So auch die Rebenprinzessin, die wohl eine Tochter der Weinkönigin ist. Töchter sind überhaupt sehr beliebt: Gerber, Henker und Zaren schicken ihre weiblichen Sprösslinge auf Wanderschaft, genau wie die unvermeidliche Wanderhure, deren Kind hoffentlich nicht den Fehler ihrer Mutter wiederholt und sich von RTL verfilmen lässt.

Der Klerus ist natürlich ebenfalls vertreten: Wir lesen über Päpstin, Pilgerin, Äbtissin und Sünderin, auch über eine Sündenheilerin, wobei mir deren Handwerk nicht ganz klar ist. Überhaupt eignet sich die Kirche als Institut der Frauenverachtung sehr gut für Emanzipation, insofern schenkt das Publikum natürlich auch der Ketzerbraut seine Sympathie. An diese antiklerikale Haltung knüpft wiederum ein Schwung von Hexenromanen an: Es gibt Hexengold, Hexenschwestern, Hexentürme, HexenmaleHexenkinder und auch Kinderhexen. Ein bilateraler Triumph aus diesen religionskritischen Gefilden ist sicherlich Der Hexer und die Henkerstochter. Hexenbücher werden übrigens nicht selten von Männern geschrieben, vielleicht schließt sich da ein Kreis von sexueller Bedürftigkeit.

Der geneigte Leser bzw. die geneigte Leserin kann bei etwas höherem historischen Anspruch jedoch auch zu Romanen greifen, in denen einem erfolgreichen Mann eine weise Frau zur Seite gedichtet wird. So wird der weibliche Einfluss auf die männlichen Taten gezeigt. Dafür sorgt die Frau des Ratsherren , die Braut des Pelzhändlers oder die Gefährtin des Vaganten.

Fortsetzungen kombinieren den erfolgreichen Titel übrigens häufig mit Schwur, Rache, Tochter, Erbe, Traum, Entscheidung, Geheimnis, Gabe, Rückkehr oder sonstwie umwitterten Substantiven.

Mein persönliches Highlight stammt allerdings aus der Feder von Iny Lorentz. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die gerne Sängerin werden möchte, aber in der Renaissance… Man kennt den Rest.

Titel: Die Kastratin.

Darauf muss man erstmal kommen.