Atalante

Ein weiteres Kapitel der Reihe “Vergessene Helden”, wie gewohnt in zwei Teilen. Heute widerlegen wir das Klischee, dass nur Männer echte Helden sein können. Oder Frauen dabei immer aussehen müssen wie Xena.

Keine gute Geschichte ohne weibliche Hauptrolle. Das gilt für Hollywood ebenso wie für die altgriechische Mythologie. Starke Frauen haben hier ihren festen wie klar umrissenen Platz. Ihre Domäne ist die von Wort und List, Leidenschaft und Geist. Als Seherinnen und Orakel zeigen sie spirituelle Größe, sind heil- und auch zauberkräftig. Ihnen gehören Kunst und Diplomatie. Als Ehefrauen und Geliebte haben sie das Ohr des Königs, und können so mit den richtigen Worten alles zum Guten wenden oder großes Verderben bewirken. In ihrer Leidenschaft und Rachsucht erscheinen sie bisweilen unbändig und schrecken sogar vor Mord nicht zurück.

Aber als Krieger und Abenteurer? Auf den ersten Blick scheint diese Rolle allein den Männern vorbehalten. Eine, die diese Geschlechtergrenze durchbricht, ist Atalante. Nicht nur deshalb nimmt sie eine Sonderstellung unter den griechischen Heroen ein. Ihre Geschichte liegt in zwei Überlieferungen vor. Erzählt wird hier erst die arkadische Fassung, die Unterscheidungsmerkmale zur böotischen gibt´s im zweiten Teil.

Rennen, Raufen, Rehe jagen

Als Atalantes Eltern werden König Iasos, Sohn des Lykurgos, und seine Gemahlin Klymene genannt. Beide sind königlichen Geblüts und können die üblichen göttlichen Vorfahren in ihren Ahnenreihen vorweisen. Da Vater Iasos lieber einen Sohnemann als eine Tochter haben wollte, ließ er den Säugling in der Wildnis aussetzen. Hier wurde das Kind von einer Bärin gesäugt, später von Jägern (oder Hirten) entdeckt und aufgenommen. In diesem rustikalen Umfeld entwickelte sich Atalante schnell zu einem echten Wildfang, der Spaß an allen „Jungs“-Sachen hatte. Vor allem liebte und übte sie das Jagen, in dem sie schnell überragendes Können bewies.

In Wesen und Erscheinung Atalantes sind die Parallelen zur Göttin Artemis unübersehbar: Wie diese ist sie mutige Jägerin, überzeugte Jungfrau, herausragend schön und gleichzeitig den geistigen und künstlerischen Fähigkeiten der Frauen eher abgeneigt. Nicht zuletzt wird sie symbolhaft von einem heiligen Tier der Artemis – einer Bärin – gesäugt. Im mythologischen Sinne fungierte Atalante daher vermutlich auch als Stellvertreterin der Göttin, obwohl sie als solche nicht bewusst auftrat.

Als Erwachsene drang Atalante in die männlich dominierte Abenteurer- und Kriegerszene vor, mit wechselhaftem Erfolg: Sie erschoss zwei Zentauren, als diese sich an ihr vergehen wollten. Als sie sich um einen Platz auf der Argo bewarb, lehnte Jason aber ab. Eine attraktive Frau und viele Kerle auf einem Boot? Das gibt Probleme bei der Teamführung! Eine Zweckentscheidung also. Dass sie das Zeug zum Argonauten wohl hatte, zeigt Atalante später bei den Begräbnisspielen für König Pelias von Iolkos. Hier besiegt sie Peleus, den späteren Vater des Achilles, im Ringkampf.

Keilerei in Kalydon

Die Kalydonische Eberjagd ist eine Art „Clash of the Champions“ in der altgriechischen Mythologie. Die Wege und Schicksale vieler Heroen treffen bei diesem Ereignis aufeinander, für einige enden sie hier auch tragisch.

Zur Vorgeschichte: Der sonst tugendhafte König Oineus von Kalydon vergaß bei einem Erntefest das Opfer für Artemis. Die rachsüchtige Göttin ließ daraufhin einen monströsen Eber das Land verwüsten. Daraufhin rief Königssohn Meleagros, selbst Argonaut, nach Beistand. Und (fast) alle kamen, niemand in der Heldenszene fehlte unentschuldigt.

Auch Atalante folgte dem Ruf, doch ihre Teilnahme führte bei der Eröffnungsfeier zu Protesten. Einige engstirnige Mannsbilder fühlten sich in Ehre und Traditionen verletzt. Doch Hausherr Meleagros entschied zu Gunsten der treffsicheren Schönheit, nicht zuletzt deshalb, weil er ihr schon beim ersten Anblick verfallen war. Nach langer, blutiger Jagd war es schließlich auch Atalante, die das Untier als erste mit einem Pfeil verletzten konnte und damit zugleich die Leben zweier anderer Helden- Telamon und Peleus – rettete. Erst später gelang Meleagros der Todesstoß. Bei der Siegesfeier sprach er jedoch der Jägerin die Trophäen und damit die Ehre des Sieges zu. Das führte erneut zu Zwist, besonders mit zwei Onkeln mütterlicherseits. Letztlich war es dieser tragische Streit, der eine weitere Werbung um die Jägerin vereitelte. Diese Ereignisse sind aber Teil der Meleagros-Sage und würden bei einer ausführlicheren Schilderung den hiesigen Rahmen sprengen. Indes blieb Atalante weiterhin siegreich und unverheiratet.

 

Der Widerspenstigen Zähmung

Unsere Heldin mag zwar eheunwillig sein, ist aber keineswegs vor Liebe gefeit. Dieser Gegensatz führt zum zweiten und letzten Höhepunkt ihrer Geschichte.

Mittlerweile hatte nämlich auch ihr Rabenvater in der berühmt gewordenen Jägerin seine Tochter wiedererkannt und holte sie nun zu sich an den Hof. Über das Wiedersehen erfahren wir leider nichts, wohl aber, dass der König die baldige Eheschließung von seiner Tochter fordert. Die hat aber immer noch kein Verlangen nach trauter Zweisamkeit und stellt daraufhin diese Bedingung: Ihr Zukünftiger muss sie vorher im Wettlauf schlagen, Verlierer werden getötet. Dumm nur, dass Atalante zu den besten Läufern der damaligen Welt gehörte. Trotz dieser Abschreckung gab es zahlreiche Bewerber, die sich auch nicht von den erfolglosen Vorgängern entmutigen ließen. Und bald schon deren Schicksal teilten – obwohl Atalante gerüstet läuft und/oder den Herausforderern einen Vorsprung gewährt.

Auftritt: Melanion. Dieser junge Mann ist praktisch das männliche Pendant zur Heldin. Ein Typ zum Pferdestehlen, aber nicht zum Kinderkriegen. Doch bei Atalante, die so ganz anders ist als andere Frauen, wird dem leidenschaftlichen Jäger warm ums Herz. Beim Wettlauf tritt er daher mit einer Wunderwaffe an: Drei Goldene Äpfel der Aphrodite. Diese wirft er seiner Kontrahentin vor die Füße, die es nicht übers Herz bringt, das göttliche Obst liegen zu lassen. Der daraus erkaufte Vorsprung macht ihn zum Sieger. Dabei ist es durchaus möglich, dass Atalante – ebenfalls entflammt – ihn schlicht gewinnen ließ.

Egal ob durch adrenalinbedingte Lust oder echte Zuneigung, nach dem Sieg zogen sich die beiden umgehend zu einem „amourösen Ringkampf“ zurück. Im Rausch der Sinne entging ihnen, dass der Austragungsort ein Heiligtum war. Als Strafe für die Entweihung wurden sie in Löwen verwandelt, die nach altem Weltbild sich nur mit anderen Großkatzen, aber nicht untereinander paaren konnten. Als erzürnte Gottheit werden Artemis selbst, Zeus oder Aphrodite genannt. Letztere war enttäuscht, da der Jüngling sich nicht an ein Gelübde hielt, welches er im Gegenzug für die Äpfel gegeben hatte.

Im nächsten Teil geht es um eine Variante dieser Geschichte und die Frage, was Frauen im Heldengeschäft so besonders macht und weshalb die Jungfräulichkeit dabei so wichtig ist.