Warum Prometheus?

Vor ein paar Tagen war ich in einer Vorstellung von Ridley Scotts neuem Zukunftsfilm Prometheus. Kurz darauf entwickelte sich im kleinen Kreis – wie das so ist – eine Diskussion über seine Qualität. Ich selbst fand ihn ganz nett, was einerseits an Scotts Bildern lag, aber vor allem am mythologischen Subtext. Ich kann allerdings auch nachvollziehen, wenn man sich aus Unkenntnis oder mangelndem Interesse von beiden Tatsachen nicht beeindrucken lässt. Dann ist der Film tatsächlich nur eine aufgemöbelte Mondlandung.

Mit Mythos allerdings wird er ein nachdenklicher Kommentar zur rückhaltlosen Fortschrittswillen unserer Zeit. Und eine Warnung vor unbekannten Tongefäßen.

Aber der Reihe nach.

Keine Weltraumoper, eher ein Götterdrama

Zunächst sollte Prometheus ein lupenreines Prequel zum Alien-Franchise werden, das erklärt, was Ripley und die Nostromo im ersten Film da eigentlich entdecken. Das Projekt mauserte sich dann allerdings unter Einfluss des Drehbuchautors Damon Lindelof (Crossing Jordan, Lost und …okay, Cowboys & Aliens) zu einem Film mit relativ eigenständiger Story. Dementsprechend wird es nun auch als Relaunch oder Reimage bezeichnet.

Prometheus ist dabei allerdings keine Weltraumoper, und erst recht kein Actionfilm wie etwa Camerons zweiter Teil der Alien-Reihe. Trailer und Marketing lassen das leider vermuten. Er bewegt sich stattdessen in einem dramaturgischen Spannungsfeld irgendwo zwischen Scotts ursprünglichem Film, Mission to Mars und 2001.

Der Film ist sehr verkopft, und zielt mit diesen philosophisch-intellektuellen Zügen eigentlich wenig auf das typische Nerdpublikum von Science-Fiction. Aber anders als Kubricks 2001, den nur wirklich verstand, wer Nietzsches Zarathustra und die Dialektik der Aufklärung kannte, mogelt Scott seinen Film mit ein paar Sequenzen aus dem Blockbuster-Repertoire in den Mainstream. Und an dessen Maßstäben gemessen muss er tatsächlich versanden.

Dabei wird der Film um einiges schlüssiger, wenn man zur Vorstellung ein paar Grundkenntnisse in griechischer Mythologie mitbringt. Der Film wird dann zu einer Art Analogie der Prometheus-Sage, indem er sie in doppelter Hinsicht aufgreift und referenziert.

In der griechischen Sagenwelt ist der Titan Prometheus der Urvater der Menschheit. Er schuf die Menschen aus Ton und hauchte ihnen Leben ein. Dann schenkte er ihnen verschiedene Eigenschaften, unter anderem Verstand und Vernunft. Bis auf Athene, die Göttin der Weisheit, mochten die olympischen Götter Prometheus allerdings nicht besonders – was wohl daran lag, dass er titanischer Herkunft war. Deshalb verlangten sie von seinen Geschöpfen Anbetung und Opfer. Prometheus überlistete die Olympier allerdings und gaukelte ihnen ein Tieropfer vor, das tatsächlich aber nur ein Sack mit Schlachtabfällen war. Zeus wurde daraufhin ziemlich wütend und versagte den Menschen das Feuer, das seit jeher als eins der wichtigsten Elemente des Lebens gilt. Prometheus aber schnappte sich einen Riesenfenchel (sic!) und entzündete ihn am Feuerwagen des Helios. Mit dieser Fackel eilt er zu den Menschen und überbringt ihnen das Feuer, und damit die Grundlage für Kultur, Entwicklung und Wohlstand. Die olympischen Götter ließen daraufhin alle Nachsicht fahren und ketteten Prometheus an den Kaukasus. Dort knabberte fortan ein Adler jeden Tag an seiner Leber. Für einen unsterblichen Titan zwar nicht tödlich, aber bestimmt sehr schmerzhaft.

Zu dieser Legende gibt es bei Scott zunächst einmal eine sehr offensichtliche Parallele: Auch im Film wurde die Menschheit von einer titanischen Rasse geschaffen. Der Titel Prometheus bezieht sich hier also auf die Konstrukteure, welche die menschliche Zivilisation zu verantworten haben. Ein Äquivalent zu den olympischen Göttern kommt im Film allerdings nicht vor, wobei das Motiv des Glaubens beispielsweise von Dr. Shaw allerdings etwas in der Richtung andeutet. Dementsprechend fragt sie auch: „And who created the Engineers?“ Die Frage bleibt im Film allerdings unbeantwortet.

Peter Weyland und die Gretchenfrage

Eine andere Analogie, die sich mit der offensichtlichen Parallele verschränkt, ist die Geschichte des Industrie-Tycoons Peter Weyland. Scott zeigt Weyland als einen Dr. Faust der Zukunft, der mit seinen genialen Erfindungen der Menschheit einen Dienst erwiesen hat, aber dennoch unzufrieden ist. „Was man nicht weiß, das eben brauchte man, // Und was man weiß, kann man nicht brauchen”. Weyland ist selbst ein kleiner Prometheus: Er hat mit seinen Erfindungen die menschliche Kultur voran gebracht, und er hat mit David (und den darauf folgenden Androiden) selbst einen Menschen erschaffen. Nicht umsonst bedeutet der Name Prometheus auf Griechisch: Der Vorwärtsdenkende. Und das ist Peter Weyland: Ein Pionier und ein Visionär. Deshalb ist es auch nur legitim, dass sein Raumschiff den Namen des Titanen trägt. Und wie weiland Johann Fausten will auch Weyland selbst einen Pakt mit den großen Mächten eingehen, um sein eigenes Leben zu verlängern. Vielleicht ist ja die sehr harsche und finale Reaktion, mit der die Konstrukteure Weylands Ansinnen abschmettern, auch eine Anlehnung an den olympischen Zorn. Für den kleinen Prometheus Weyland, der ja der altvorderen Spezies ihre Geheimnisse entlocken will, können diese durchaus die Rolle von Göttern einnehmen.

Es ist übrigens interessant, dass die Wahl beim Casting nicht (wie ursprünglich geplant) auf Max von Sydow gefallen ist, sondern Guy Pierce für Peter Weyland besetzt wurde. Der Tycoon ist im Film knapp 100 Jahre alt, und Pierce spielt die Rolle dementsprechend mit sehr aufwändiger Maske. Dafür tritt er allerdings ungeschminkt in einem kleinen Viralfilmchen auf, das den jungen Weyland auf einer TED-Konferenz im Jahr 2023 zeigt. Dort stellt er das Projekt des „Künstlichen Menschen“ vor, das später einmal Androiden wie David oder Bishop hervorbringt. Bereits in diesem Vortrag benutzt er die Geschichte des Prometheus, um seine Vision zu verdeutlichen.

Weyland deutet die Sage von Prometheus (wie allgemein üblich) als Ursprungslegende der Technologie: Die Nutzbarmachung des Feuers sei die erste technologische Errungenschaft des Menschen, Prometheus wird damit zum menschgewordene Erfindergeist und dem Streben nach technologischem Fortschritt. Dieses Motiv spielt auch in einem anderen Science-Fiction-Film eine Rolle, der ebenfalls menschlichen Fortschritt und Prä-Astronautik zum Thema hat: Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltall. Dessen berühmte Anfangsszene spielt ganz ähnlich wie der Prometheus-Mythos mit dem Motiv der technologischen Erkenntnis und verbindet es kongenial mit dem Gedanken der Aufklärung, wie ihn Nietzsche und später auch Adorno verstanden haben: Der Mensch erkennt sich als Subjekt, tritt aus dem tierähnlichen Naturzustand heraus und unterwirft sich die Natur durch den Akt des Verstehens. Er ist den Naturgewalten nicht mehr hilflos ausgeliefert, weil er sie als solche begreift, nachvollziehen und manipulieren kann. Die Aufklärung beginnt, der Mensch setzt sich langsam, aber stetig an Gottes Stelle.  Bei Friedrich Schiller, einem großen Freund der Aufklärung, lesen wir im Gedicht Die Teilung der Erde die dazu passenden Zeilen:

»Was tun?« spricht Zeus, »die Welt ist weggegeben,
Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein.
Willst du in meinem Himmel mit mir leben -
So oft du kommst, er soll dir offen sein.«

Nachfolgende Denker sind weitaus radikaler. Nietzsche zum Beispiel, der seinen Zarathustra sagen lässt: „Gott ist tot, denn wir haben ihn getötet.“ Es meint nichts anderes als: Gott erschuf die Welt, aber nun herrscht in ihr der Mensch. Peter Weyland beschließt seine TED-Präsentation in diesem Sinne auch mit den Worten: „We are the Gods now.“

 T. H. Lawrence und das Feuer

Im tatsächlichen Film wiederum wird das Geschenk des Feuers und dessen Bändigung durch den Mensch nur durch einen kurzen, aber bedeutungsvollen Film-im-Film kommentiert: In einer Szene aus Lawrence of Arabia wird Peter O’Toole gezeigt, wie er in der Rolle von T. H. Lawrence seinem Landsmann Potter einen Trick vorführt: Er löscht ein brennendes Streichholz mit seinen Fingern. Auf Potters Frage, wo der Trick sei keine Schmerzen zu spüren, antwortet Lawrence: „The trick, my dear Potter, is not minding it hurts.“ Diese Szene erzählt auch Weyland bei der TED-Präsentation. Sie beeindruckt den Androiden David so sehr, dass er diesen Spruch mehrmals leise vor sich hinsagt. Überhaupt sieht David in Lawrence von Arabien eine Art Vorbild: Er färbt sich die Haare wie Peter O’Toole und übernimmt auch einige von dessen Manierismen. Das ist auch ungemein passend: Wie Lawrence in Arabien ist auch der Android David ein Außenseiter, der unter Fremden so sein will wie sie – es aber niemals schafft, weil er niemals vollständig dazu gehören kann.

Die Anekdote mit dem Feuer wird dadurch jedenfalls fast zu einem Gleichnis, da der titelgebende Prometheus ja vor allem als Feuerbringer bekannt ist. Wie es eine doppelte Parallele zur Sage gibt, so kann man dieses Gleichnis dann auch hier doppelt anwenden. Einerseits auf Peter Weyland und dessen Bereitschaft, sich an der unterworfenen Natur zu verletzen und dabei Opfer zu bringen: Not minding that it hurts. Andererseits kann das Gleichnis für die später sich offenbarende Bereitschaft der Konstrukteure gelten, das Geschenk des Feuers (= der menschlichen Kultur) zurückzunehmen. Not minding that it hurts. Wie David sagt: “Sometimes you must destroy before you can create.“ Weshalb die Konstrukteure die Menschheit wieder auslöschen wollten, würde somit zwar nicht erklärt, aber angedeutet.

Für mich brachte diese Anekdote von Lawrence das zentrale Thema des Films auf den Punkt: Wenn Du das Feuer beherrschen willst, wenn Du also den technischen Fortschritt möglich machen möchtest, darfst Du nicht vor Opfern oder Schmerzen zurückschrecken. Prägnanter ausgedrückt: Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich – die Frage ist nur, wie man mit den Schmerzen umgeht.

Out of the Box

Und wie passt nun das Alien in diese Geschichte? Nun, die Legende von Prometheus birgt in sich ein ziemlich bekanntes Element, das fast berühmter ist als die Sage selbst. Bevor die Götter Prometheus nämlich an den Kaukasus ketten, versuchen sie zunächst seine Schöpfung zu zerstören. Sie füllen alles Übel der Welt in eine Amphore, geben diese einer gewissen Pandora und schicken sie zur Erde. Epimetheus, der Bruder von Prometheus, ist leider nicht so schlau wie jener und öffnet das Behältnis. Das Übel bricht heraus, Plagen und Unheil überziehen die Erde und erst unter großer Kraftanstrengung ist es möglich, die Büchse der Pandora samt Inhalt wieder zu versiegeln.

Übrigens ist das Wort “Büchse” ein Übersetzungsfehler vom Rotterdam-Erasmus. Eigentlich bedeutet das griechische Wort soviel wie “irdener Krug größeren Inhalts”, also wohl eine Amphore aus Keramik. Aber egal. Die “Amphore der Pandora” klingt zwar viel poetischer als das etwas knütterige Wort “Büchse”, aber da wird man dem kollektiven Gedächtnis wohl nichts anderes mehr erzählen können.

Wobei: Auf Mond LV-223 haben wir es auch mit amphorenähnlichen Behältnissen zu tun. Diese Dinger sind samt gefährlichem Inhalt schön sorgfältig in einer verrammelten Kammer untergebracht, weil man sie nicht einfach offen rumstehen lassen wollte. Aber natürlich kommt es anders: Die Crew öffnet die versiegelte Anlage und setzt die Biowaffen frei. Das Übel nimmt seinen Lauf, und Lt. Ripley hat Jahre damit zu kämpfen, das Alien wieder in die Büchse zu stopfen.

Ich halte nun eigentlich wenig davon, Filmen pauschal ein Sendungsbewusstsein zu unterstellen. Kunst entsteht immer in der Rezeption. Aber ambitionierte Drehbücher setzen sich oft bewusst oder unbewusst mit bestimmten Fragen unserer Kultur auseinander, die sie dann mehr oder weniger umfassend beantworten. Kubricks 2001 fragt zum Beispiel ganz ähnlich wie Adorno: Was ist die Konsequenz der Aufklärung und des technischen Fortschritts? Ist die „Entzauberung der Welt“ nunmehr nichts anderes als eine faschistoide Beherrschung, die in so technokratischen Grausamkeiten wie Auschwitz (Adorno) oder der Vivisektion von HAL (Kubrick) gipfeln kann?

Scott (bzw. Lindelof) stellt im Vergleich dazu eine eher klassische Frage, die auch der Prometheus-Legende zugrunde liegt: Was ist der Preis für Fortschritt? Gibt es vielleicht Türen, die wir besser nicht öffnen? Gibt es Geheimnisse wie Pandoras Büchse, die wir unentdeckt lassen sollten? Alles Fragen der Technologie- und Fortschrittskritik, die in heutigen Zeiten von dauerhaftem Wachstum, einem Hype um Naturwissenschaften und allgemeiner Fortschrittsgläubigkeit auch mal gerne übergangen werden.

Die sprichwörtliche Büchse kann übrigens auch ein Hinweis auf die Frage sein, mit der Dr. Shaw am Ende des Films aufbricht: Weshalb wollen die Konstrukteure die Menschheit zerstören? Vielleicht, weil sie einem abtrünnigen Prometheus aus ihren Reihen zürnten, und dessen Geschöpfe mit Unheil und Plage überziehen wollten. Oder weil sie das Übel aus der Büchse wieder einfangen mussten. Das wäre dann allerdings eine sehr düstere Antwort.