Das Outer Rim

Wir haben dieses Wochenende einen Vorstoß ins Outer Rim gewagt. Nachdem wir mit der Eisenbahn die Gefilde der innerstädtischen Sicherheit gen Osten verlassen hatten, stießen wir hier, an den Rändern der großen Stadt, auf einen sehr, sehr seltsamen Ort.

Zunächst aber die Peripherie: Hier hatten Spieler ihre Zelte aufgeschlagen, und allerorten waren Hurenhäuser und Animierbars zu sehen. Hier lebten Fremde und Zugewanderte, die noch nicht in der Mitte von Stadt und Gesellschaft angekommen waren und wahrscheinlich auch niemals ankommen würden. Aus der Stadt zog es hierin Abenteurer wie uns, aber auch Alltagsmüde und Grenzgänger, die hier in den Außenbezirken ihrem Leben etwas Würze oder Gehalt geben wollten. Verstohlen huschten Schatten zwischen den zwielichtigen Etablissements umher; sie waren wegen ihrer bürgerlichen Existenz auf Unsichtbarkeit bedacht. Hob sich der breitkrempige Hut doch einmal zu hoch, dann schloss man mit kurzem Augenblick einen stummen Kontrakt: What happens in Nippes, stays in Nippes.

Stahl, Rost, Rohre und Kessel

Wir für unseren Teil ließen die Huren und Spieler links liegen und bogen schließlich rechts in einen unscheinbaren Pfad ein, der in seiner verwucherten Wildnis nur mit dem geübten Augen eines Trappers zu erkennen war. Und plötzlich, im Schatten zweier Eisenbahnbrücken, die hoch oben über allem Geschehenen thronten, wurden wir eines Schildes gewahr: „Robodonien 2010“.

Als wir unseren Weg unter diesem Schild hindurch fortsetzen, betreten wir eine Welt des mechanischen Zaubers. Stählerne Gebeine gräulicher Urzeitmonstren blecken auf uns hinab, überall sprießt der Stahl aus dem Boden, Rost wuchert  und Dampf stäubt zischend aus Rohren und Kesseln. „Bartertown!“ zische ich zu meiner Begleiterin.

Eine fleischfressende Pflanze aus Metall wirkt wie eine finstre Allegorie auf die kapitalistischen Produktionsstätten des 19. Jahrhunderts. Ein goldenes Auge mit Torpedoartigem Korpus pendelt wie ein großer Bruder über unseren Köpfen. Ein rotierender Dampfkessel pumpt stoisch Druck in seine Kolben. Daneben sitzt ein Musikant, kunstversunken. Er verheiratet die technische Monotonie des Kessels mit der Lyrik seines Cellos. Eine Symphonie der Gegensätze, eine chymische Hochzeit von Mensch und Maschine, von Musik und Mechanik. Ich äußere mich entsprechend und ernte verhaltene Blicke.

Feuer und Klang

Wir erforschen weiter und pirschen uns durch die Schrottschluchten. Überall herrscht Zulauf. Selbst ordentliches Volk (wie wir es ja auch sind) hat sich her getraut. Allen ist ein Glitzern in den Augen gemein, dass nur zum Teil vom Widerschein der Feuer und Lampen rührt.

Wir sehen krabbelnde Spinnen, Seilsprungmaschinen mit physiktheoretischem Anspruch und infernalische Rhythmusmaschinen. Plötzlich wird Achtung geblasen: Auf dem Marktplatz versammeln sich die Menschen um einen Apparat aus Röhren, Stäben und Fässern. Ein elektrisches Didgeridoo! Unter anderem. Drei Männer stehen in langen, schweren Mänteln an den Armaturen. Zum Klang ihrer seltsamen Instrumente speien die Rohre Feuer, Hitze wallt über die umstehende Menge und Rufe der erschreckten Bewunderung werden laut. Die Höllenorgel tönt und bläst und brennt, dass es eine Freude ist.

Bild von robodonien.de

Schließlich finden wir den Weg zurück. Ich blicke mich noch einmal um voller Bewunderung: In diesem postapokalyptischen Zirkus hat man mit Menschenhand dem Ungeheuer der Industrialisierung seine tödlichen Zähne gezogen. Aus kaltem Stahl und totem Rost ist Leben entstanden. Mir wird warm ums Herz. Ich ergreife die vertraute Hand. What happens in Nippes, stays in the Heart.