Bosse rockt

Aus gegebenem Anlass unterbrechen wir unser aktuelles Programm für folgende Nachricht:

Ich habe vorgestern Axel Bosse wiedergesehen. Er hat in der Düsseldorfer Philipshalle gespielt. Bosse kenne ich über eine frühere Freundin, zu deren Zeit seine Band beim Publikum allerdings noch nicht so angesagt war, wie eben jene Freundin bei mir. Mann wird in solchen Situationen ja schnell zur Maulhure. „Dein Mixtape? Hat mir super gefallen. Whitney ist die größte.“ Bosses Musik hingegen war tatsächlich recht nett, damals schon. Und mit recht nett meine ich indiemäßig großartig, aber man will es eben nicht vor der Frau zugeben, weil man ja eigentlich irgendwie selbst auf sowas kommen sollte.

Wir waren jedenfalls in der Philipshalle und haben Bosse zugehört. Die Nachband war Jamie Cullum, der war auch ganz okay, aber eben nur ganz okay. Bosse aber waren viel mehr als okay. Vor allem, weil so richtig lässige Konzertgänger die Vorband ja immer doof finden. Aber Bosse haben das hingekriegt, und mit ungefähr sieben Songs das eher gesetzte Publikum ziemlich schnell aufgerüttelt. Das fand ich mehr als okay. Das fand ich bewundernswert.

Vielleicht hat es mich auch deshalb so sympathisch rumgekriegt, weil Axel sein Talent nicht mit langweiligen Popstarroutinen verschleiert hat. Keine Videoinstallation, keine Donkeschäin-Rufe, kein All-together-now-Geklatsche. Und kein Publikum-in-drei-Chören-dirigieren-die-aber-eigentlich-über-die-Soundanlage-eingespielt-wurden-damit-alle-glauben-es-wäre-ein-unglaublicher-Moment.

Gespräch und Theater

Bei Jamie schon, leider. Natürlich fanden ihn die Leute großartig, natürlich war er der Star des Abends, natürlich ist er ein grandioser Musiker. Und natürlich geben die Leute ihre knapp 50 Euro nicht für Bosse aus. Aber trotzdem: Sie waren die Band der Herzen. Zumindest was mich betrifft. Bosse hat nämlich etwas geschafft, dass mir bei Jamie abging: Intimität und Nähe zum Publikum. Und damit meine ich nicht diese „It-means-the-world-to-me“-Phrasen, mit denen gerne von der Bühne heruntergekumpelt wird.

Ein gutes Konzert ist für mich wie ein gutes Gespräch. Da stellt sich jemand auf eine Bühne und redet mit Dir über das Leben, indem er Dir ein paar Lieder vorspielt. Schnell, langsam, laut, leise, Dur oder Moll. Und wie bei einem guten Gespräch muss man auch hier nicht mit allem einverstanden sein. Aber Manchmal sieht man die Dinge auch mal von einer anderen Seite, und allein deshalb hat es sich schon gelohnt.

Bosse konnte das. Allein schon die Ansagen. Zu viele ähms und alsos, etwas zu schnell und manchmal vernuschelt. Am Ende immer: „Hört mal:“ Und dann kam der Song. Großartig.

Später bei Jamie hatte ich eher das Gefühl, im Theater zu sein. Unterhaltsam, keine Frage. Aber eben auch inszeniert, mit eingeschriebenen Witzen und etwas gekünstelter Nähe zum Publikum: Mit brachialcharmanten Beteuerungen, dass er ja so total normal geblieben ist, der Jamie. Dass er bei all dem Fanrummel im Fernsehen gar nicht ins Fernsehen will, sondern auf die Bühne. Dass Jamie gar nicht auf die Bühne will, sondern nur zu seinen Fans. Und dass er total gerne mit den Fans plaudert, wenn sie zuvor ein Deluxe-Album samt Backstagepass gekauft haben. Aber eigentlich will er doch nur Musik machen, der Lausebengel. Und deshalb hat er das Publikum auch immer schön brav darüber informiert, auf welcher Platte welches Stück aufgenommen wurde. Damit man es problemlos findet. Im Geschäft.

Da nehme ich mir viel eher Axels Bitte zu Herzen, ihn und seine Band mit Merchandising zu unterstützen. Der Aufruf ist zwar unverhohlen, aber deshalb umso ehrlicher.

Zirkusdressing und Salat

Kurz gesagt: Bei Jamie war mir einfach zu viel Popzirkusdressing auf dem Musiksalat. Klar gibt es Bands, bei denen genau das einfach cool ist. Aber der Junge braucht das gar nicht. Justin Bieber braucht das. Jamie Cullum nicht. Der könnte einfach gute Musik machen, weil er ein grandioser Pianist und hochtalentierter Sänger ist. Aber stattdessen wird der ganze großartige Jazz und die schönen Jams mit zerpopten Allgemeinplätzen zugemüllt, die man schon tausendmal bei viel schlechterer Musik gesehen und gehört hat. Und eine Takelage auf der Bühne installiert, die eigentlich Klaviersaiten waren. Weil hey: er spielt ja Klavier. Das eigentlich brillante an seiner Tastenflitzerei verlor sich dabei im flauschigen Einerlei des kalkulierten Erfolges. Es war, als würde man ein gutes Essen mit Geschmacksverstärkern aufmöbeln: Ein Fest für die Sinne, aber nachher hat man Magenschmerzen und fühlt sich irgendwie betrogen.

Denn wenn bei einem Künstler nicht nur seine Musik, sondern auch sein Image verkauft wird, ist ja eigentlich etwas faul. Dann ist die Musik meist nur so mittelokay, und man muss sie mit irgendeiner Kunstfigur hochjubeln. Im Fall von Jamie Cullum ist das noch nicht mal sonderlich subtil. Es reicht nicht, dass er charmant und talentiert ist. Es muss auch immer krampfhaft dazugesagt werden. Es reicht nicht, dass er Klavier spielt. Man muss auch durch eine Videoinstallation und eine depperte Bühnendeko extra darauf hinweisen. Musik für Blöde. Und immer mit Ansage. Das ist, als würde man neben ein blaues Bild ein Schild mit der Aufschrift hängen: „Dies ist ein blaues Bild. Der Maler hat blaue Farben verwendet, damit es blau aussieht. Und deshalb sieht es auch blau aus, was der Maler aber beabsichtigt hat. Durch seine blaue Farbe.“ Einsatz für Captain Obvious.

Wie dem auch sei: Jamie selbst kann da wahrscheinlich nur wenig für. Man müsste eigentlich mal seine Agentur fragen, ob sie so wenig Vertrauen in sein Talent und seine Musik haben, dass sie dafür so ein Schmierentheater inszenieren. Naja, und Axel kann da schon mal gar nicht für. Dass er es so weit gebracht hat, ist einfach großartig. Und als Rocker mit Gitarre und Klavier ein Akustikset hinzukriegen, obwohl alle eigentlich Jamie Cullum sehen wollen, finde ich bewundernswert phänomenal. Glückwunsch. Höchste Zeit, das alte Mixtape mal wieder rauszukramen.