Wagner im Weltall

Bei Iron Sky scheiden sich ja die Geister. Grandios, langweilig, spektakulär, lahm, brillant, dümmlich – alles bereits gehört oder gelesen. Die einen bejubeln den Mut zum nerdigen Overkill, die anderen beklagen dramaturgische Schwächen und Trash. Nicht zu vergessen die Reaktanz der Vorhersehbaren, denen jeder Hype Anlass zum Blödfinden ist. Warum sollte man also für diesen Film ins Kino gehen?

Zunächst einmal: Der Film schon jetzt ein bahnbrechendes Artefakt. Das erste Schwarm-Kunstwerk, das es bis in den Mainstream geschafft hat. Die Entwicklung des Films aus Crowdfunding, Forendiskussion und auf den Wegen der sozialen Netzwerke ist revolutionär – und legt damit zugleich auch die Messlatte für seine Schöpfungshöhe. Iron Sky nämlich an internationalen Filmstandards zu messen, wäre unverhältnismäßig. Es gab keine altgedienten Produzenten oder erfahrene Script-Doktoren, die das Drehbuch auf die jahrzehntelang zementierten Sehgewohnheiten auch des letzten Filmsnobs abstimmen konnten.

Stattdessen gab es einen Autorenfilmer mit einer witzigen Idee, die er im Rahmen einer größeren Netzdiskussion zu einem Film ausgebaut hat. Mit allen dramaturgischen Schwächen, die ein Erstlingswerk eben haben kann. So wurde zum beispiel die Ausgangsidee ziemlich eingleisig und ohne viel Beiwerk ins Ziel bugsiert – das macht den Film erzählerisch etwas träge. In dieser Hinsicht hätten die Autoren viel von Titanic, Avatar, Independence Day und Konsorten lernen können – jeder dieser Blockbuster unterfüttert seine relativ knappe Storyline mit ausreichend Nebenschauplätzen und -charakteren, so dass sie bei souveräner Dramaturgie problemlos die Überlänge schaffen. (Obwohl man sowas natürlich in bestimmten Kreisen nicht sagen darf. Reaktanz und so…)

Die subtile Hommage

Der überschaubare Handlungsbogen wirkt also erstmal langweilig, allerdings eben nur auf den erste Blick. Im Vordergrund steht nämlich nicht das Was, sondern das Wie. In bester Trash-Tradition: Es geht niemals darum, dass Zombies Menschen angreifen. Es geht immer darum, wie sie es tun. Iron Sky verdient sich die Lorbeeren auf dem Wie-Feld außerordentlich versiert durch etwas, das in Nerdkreisen zum  guten Ton gehört: Der subtilen Hommage. In beinahe jeder Szene und auf jeder Ebene des Films finden sich Anspielungen, Zitate oder  Referenzen zu größeren und kleineren Werken, die im Entstehungsmillieu – dem Nerdnetz – große Bewunderung genießen. Zusätzlich werden relevante Filme mit Nazithema zitiert: Der Untergang zum Beispiel, als die Chefstrategin der amerikanischen Präsidenten mit zitternder Hand am Lichttisch der PR-Agentur steht, und ihre Mitarbeiter mit beinahe den gleichen Zeilen herunterputzt, mit denen schon Bruno Gans die Schwäche des deutschen Volkes beklagte. Oder Dr. Strangelove, wenn der amerikanische Astronaut mit zuckendem rechten Arm im Rollstuhl sitzt.

Die meisten Anspielungen sind dabei erfrischend leise. Kein Vergleich zu modernen Persiflagen à la Scary Movie zum Beispiel, bei denen die Drehbuchautoren jede Referenz dem Zuschauer doppelt und dreifach aufs Brot schmieren, damit dieser auch ja mitbekommt, was für eine witzige Idee das denn war. Aber bei Nerds war schon immer der stille Insider der bessere Witz. Tonnen an T-Shirts verkaufen sich bestens, eben weil diesen einen bestimmten Satz nur die 8.000 Eingeweihte verstehen, die damals 2007 das Interview mit George Takei auf der Comic-Con gesehen haben. Iron Sky ist vollgestopft mit solchen Referenzen. Nicht jeder wird zum Beispiel an Blade Runner denken, wenn das Nazi-Flagschiff Tannhäuser in den Orbit der Erde einschwenkt – trotz gigantischer Schiffe, die brannten und dem besten Todesmonolog der Filmgeschichte.

Tieferliegende Salzebenen

In Mainstream-Medien werden derartige Anspielungen  leider allzu oft abgelehnt mit dem Verweis, “das versteht eh keiner”. Obwohl gerade solche Subtexte das Salz in der Suppe des Zuschauers sind. Man denke nur an Alan Moores Geschichten über die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen, bei denen fast ausnahmslos jedes Bild eine Anspielung auf irgendeinen unbekannten Groschenroman des viktorianischen Zeitalters ist. Als ob das kollektive Popgedächtnis eine Party schmeißt – mit exklusiver Gästeliste, auf der nur Leseratten und Bücherwürmer stehen.

Bei Meinungsängstlichen und Denkfaulen hingegen (und dazu zählen leider auch viele Nerds) führt der allmähliche Triumph der Mittelmäßigkeit  nun leider immer häufiger dazu, dass sich im Mainstream eine gewisse Bequemlichkeit breitmacht. Er macht sich dann nicht mehr die Mühe, über mögliche tieferliegenden Salzebenen der Suppe nachzudenken. “Ich will eben nur gut unterhalten werden” entschuldigt sich der dumpfe Medien-Flaneur und erklärt sich zugleich den geistigen Bankrott. Allmählich werden wir zu einer salzlosen Gesellschaft, und irgendwann ist Animal Farm eben nur noch eine Geschichte über einen Bauernhof. Einer geistreichen Deutung irgendwo im Feuilleton wird dann vorgeworfen, sie sei pseudointellektuell. Meistens von Leuten, die nicht mal pseudointellektuell sind, geschweige denn ein solches Urteil fällen könnten. Die Frage nach Salz wird in dieser faden Welt dann zu einer unanständigen Forderung.

Aber ich schweife ab. Dass ich mich bei Iron Sky nämlich prächtig unterhalten habe, ist einem der oben beschriebenen nerdigen Insider geschuldet – den wahrscheinlich nur eine Hand voll Musikwissenschaftler verstanden haben. Was aber auch vollkommen okay ist: Wenn schon nicht für den Arbeitsmarkt, muss das Studium ja wenigstens für irgendetwas gut gewesen sein.

Höfliche Konzeptkunst

Grund war der Soundtrack, eine pompöse Bearbeitung verschiedener Musiken von Richard Wagner. Wer Richard Wagner kennt, weiß um die Bedeutung der Formulierung “pompöse Bearbeitungen”. Verantwortlich war die Band Laibach. Laibach hat in den Achtzigern das gemacht, womit Rammstein später berühmt wurden. Die taz nennt sie deshalb höflich eine “slowenische Konzeptkunstband” die durch ihre Auftritte eine “affirmative Kritik am Totalitarismus und seiner Ideologie” ausübt. Übersetzt heißt das: Laibach präsentiert sich derart übertrieben als faschistische Herrenmenschentruppe, dass die Albernheit dieser Ästhetik offensichtlich wird. In der Sprache der Kommunikationstheorie heißt das: Überidentifikation.

Damit bietet die Band natürlich eine riesige Angriffsfläche für Vorwürfe, und wurde deshalb auch häufig selbst als faschistisch bezeichnet. Sänger Milan Fras konterte darauf angeblich:   “We are fascists as much as Hitler was a painter.” Sich selbst mit einem Hitler-Vergleich aus der Diskussion zu hebeln - Mike Godwin würde anerkennend sein Haupt neigen.

Weshalb dieses Konzept der “affirmativen Kritik” trotzdem funktioniert, erklärt die Band dann sehr theoriebeflissen: “Jede Kunst ist politischer Manipulation unterworfen, außer jener, die die Sprache eben dieser Manipulation spricht.” Das meint in diesem Falle nichts anderes als eine Form der Bricolage, einer Adaption fremder oder feindlicher Symbole, um sie im Eigengebrauch zu entwerten. Punks mit Hakenkreuzen zum Beispiel. Schwarze, die sich selbst als Nigger bezeichnen. Oder eben Riefenstahl-Ästhetik bei langhaarigen Rockmusikern. Das Laibach also nun den Soundtrack von Iron Sky eingespielt hat, ist nur konsequent. Der Film selbst wirkt wie eine Ausformulierung des Diktums von Walter Moers, der auf die Frage, ob man über Nazis denn lachen könne, antwortete: “Man kann nicht, man muss.”

Oper als Subtext

Bei der Vertonung des Films haben die Musiker kräftig auf das Wagner-Repertoire zurückgegriffen. Tatsächlich sind beinahe alle symphonischen Passagen des Soundtracks irgendeiner Bayreuther Oper entnommen. Das ist nun allein nicht sonderlich originell, zumal die Musik Wagners in einem Film über Nazis zum beliebten Register gehört. Laibach geht aber einen Schritt weiter, in dem man der jeweils vertonten Szene auch den Inhalt der Oper als Subtext mit auf den Weg gibt.

Da ist zunächst einmal das wohl berühmteste Wagner-Thema: Siegfrieds Trauermarsch. Von diesem Stück ließ sich schon Howard Shore für seinen Herr der Ringe inspirieren. Laibach nun setzt die Todesmelodie des deutschesten aller deutschen Helden immer dann ein, wenn einer der Nazigrößen des Films über den Jordan geht.

Dann: Die Raumschlacht. Ein scharfes Auge bemerkt, dass die großen Schlachtschiffe der Nazis allesamt nach Wagner-Opern benannt sind: Tannhäuser wie gesagt, Siegfried, Walküre, Rheingold und ich glaube sogar, die Lohengrin erspäht zu haben. Zum Ende hin schließt sich mit der Götterdämmerung dann auch der Ring der Nibelungen. Der musikalische Witz: In der Raumschlacht sind genau jene berühmten Themen verwoben, die die jeweiligen Overtüren dieser Opern prägen. Der majestätische Tannhäuser-Marsch, der berühmte Walkürenritt, die wogenden Rheingoldklänge und eben die dunkel-heroische Siegfriedfanfare. Nach Rienzi, den Meistersängern oder gar dem Holländer muss man gar nicht erst lauschen.

Ein weiteres Schmankerl ist die Untermalung in den Szenen von James Washington und dem adretten Fräulein Richter: Hier klingt die tragische Weise von Tristan & Isolde, ein Lied der verbotenen Liebe in Zeiten der Cholera des Krieges zwischen verfeindeten Reichen.

Zu guter Letzt: Der denkwürdige Monolog von Renate Richter. “The World is sick, and we are the Doctors! We are here to make the world healthy again! We are the answer to the question!” Die gesamte Rede ist – in einem herrlich perversen Kontext –  nichts Geringeres als das alte christliche Heilsversprechen, das Wagner seiner Parsifal-Oper zugrunde gelegt hat: Der heilige Gral als Kur für die schwärende Wunde des Amfortas, und das Bühnenweihfestspiel Parsifal als heiliger Kelch, an dem die geschundene deutsche Kultur wieder gesunden sollte. Die herzblutige Wahlkampfpredigt wird dann auch passend mit der erhabenen Gralsmusik der entsprechenden Overtüre unterlegt. Dass währenddessen direkt neben der Präsidentin die PR-Chefin Vivian Wagner steht, ist ein kleines Schmankerl.

Das Bewusstsein nerdiger Grandiosität

Durch diesen extrem intellektuellen Einsatz von Musik gibt Laibach dem Film eine künstlerische Intertextualität, die man im Mainstream-Kino sehr selten findet. Und die mich dazu veranlasst hat, meinen Sitznachbar die ganze Zeit damit vollzuquatschen. Entschuldige bitte, Philipp.

In meinen Augen macht gerade diese Form der subtilen Anspielung ein echtes Nerdkunstwerk aus. Ein Werk, bei dem manche Witze oder Andeutungen nur verstanden werden, wenn man zufällig das Buch, den Film, das Lied, das Bild oder das Comic kennt. Und ein Werk, das diese unterschiedlichen Bedeutungen auf zahlreichen Ebenen miteinander verwebt. Wagner nannte das ein Gesamtkunstwerk, ich bin plump und nenne es geil.

Da lasse ich mir als Kinogänger auch gerne mein Ego streicheln. Die vielen Momente, in denen mich bei Iron Sky das Gefühl nerdiger Grandiosität gepackt hat, das Bewustsein, in der Masse der Unwissenden einer kleinen Gemeinschaft von kundigen Lachern anzugehören – das hat was, das gebe ich unverholen zu. Auch dafür gehe ich ins Kino.