Oscar the Artist

In The Artist gibt es eine Szene, in der George Valentin vor einem Schaufenster steht. Dahinter ist Herrenmode ausgestellt, galante Herrenmode, man sieht Smokings, Dinnerjackets und auch einen Frack. Valentin ist niedergeschlagen. Vor einigen Jahren war er der umjubelter Star der großen Leinwand, ein schneidiger Herzensbrecher und weltgewandter Künstler. Nun aber ist er ist arbeitslos, von der Welt vergessen und nicht nur ein Opfer des Alkohols, sondern auch einer neuen Generation Film: Der Tonfilm hat ihn arbeitslos gemacht, das Publikum verschmäht die immer gleichen Abziehbilder aus Valentins Rollenfach, sondern will neue, lebensechte und natürliche Schauspielkunst. Als der gefallene Held allerdings vor dem Schaufenster steht, zeigt sich kurz sein Spiegelbild. Und für einen Moment sieht es aus, als ob nicht die Schneiderbüste, sondern der Star von einst wieder den Frack trägt, in dem er früher seine Fans begeisterte. Valentin strafft die Schultern und zeigt noch einmal das Lächeln der großen Bühne. Er erinnert sich – und wird danach sehr, sehr traurig.

Man muss sich die Oscars dieses Jahr so ähnlich vorstellen. Die 84. Gala von Glanz und Gloria war dieses Mal (dieses Mal?) eine Restauration der guten alten Zeit. In beinahe jeder Ansprache wurde ehrfürchtig über “The Movies” geredet, zwischendurch erzählten Stars und Starlets in kleinen Einspielfilmchen ihre biographischen Kinohöhepunkte in die Kamera. Die Bühnendeko war passenderweise einem alten Lichtspielhaus der goldenen Ära nachempfunden, und immer wieder huschten Popcornverkäuferinnen in adretten Kostümchen durch die Reihen. Die ganze Show ertrank förmlich in Nostalgie.

Alte Gags und Billy Crystal

Dazu passte ganz wunderbar Billy Crystal, dessen Engagement als Gastgeber ungefähr der Wahl von Markus Lanz zum Moderator von Wetten dass? entsprach: Kennt man, eine sichere Bank, keine Experimente. Eine souveräne und routinierte Performance, aber eben auch etwas lahm. Hier ein zahmer Witz über Steuern, da ein kurzer Spruch über die Präsidentschaftswahl – keine Überraschung und alles so spannend wie eine Hochzeitsrede. Man lacht halt mit, weil es sich so gehört und der Wein gut ist.

Dabei konnte Hollywood das schon mal besser: Steve Martin, Jon Stewart, von Ricky Gervais bei den Golden Globes ganz zu schweigen. Die Rückkehr zu Crystal war nach der eher lauen Performance von James Franco und Anne Hathaway im letzten Jahr und dem Absprung von Eddie Muprhy zwar verständlich, aber eben auch ein Schritt zurück in den bereits baufälligen Bunker der Unterhaltungsindustrie.

Und so plätscherte die Moderation vor sich hin: Ein paar Gags aus vergangenen Moderationen wurden mit Witzen über Brangelinas Kinder angereichert. Der Einspielfilm zu Beginn war nett, aber belanglos. Eine ironisch gemeinte Szene, in der Crystal in einem Raum voller greiser Gagschreiber ohne guter Ideen sitzt, kam der Realität empfindlich nahe.

Seelenlose Materialschlachten

Genau dieser Witz offenbarte dann auch das tatsächliche Problem der Traumfabrik: Die Einfallslosigkeit, die Risikoarmut, die ständige Wiederholung des Althergebrachten. Die Sequel-Orgien werden immer maßloser, jede Cashcow wird gemolken bis der Tierarzt kommt. Der ihr dann eine Spritze gibt, damit sie noch weiter gemolken werden kann. Das Resultat sind seelenlose Materialschlachten, ein Franscheiß nach dem anderen und alles möglichst in 3D, damit die Kinokarte teurer ist.

Vor allem die betriebswirtschaftlich geforderte Risikoarmut führt bei Hollywood langsam aber sicher in die künstlerische Belanglosigkeit: Marktforscher berechnen bis ins letzte Detail die Rentabilität von Filmen, jede Produktion eines großen Studios wird demographisch durchgeplant. Will Smith bekommt in einer romantischen Komödie  Eva Mendez als Partnerin, weil eine kaukasische Partnerin konservative Zielgruppen abschrecken könnte.

Der kleine Cameo von Justin Bieber anfangs, der Crystal die Umfragewerte der 18-22jährigen übergibt, ist dann auch eher bitter als lustig. Denn was dabei herauskommt, wenn man seinen Kunden bedenkenlos nach dem Mund redet, kann man hierzulande beim Privatfernsehen und der BILD beobachten.

Willkommen in der Postmoderne

Hollywood hat es schwer in diesen Zeiten, die Postmoderne meint es nicht gut mit der Traumfabrik. Der Kampf ums Urheberrecht geht allmählich verloren, YouTube und Heimkino untergraben das Monopol des Filmtheaters. Während andererseits  bei Fernsehserien wie The West Wing, Boardwalk Empire oder The Wire Inspiration aus jeder Pore tropft, krankt die amerikanische Filmindustrie an Mutlosigkeit. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Emmy auch in Sachen Glamour den Oscar überholt. Qualitativ ist das schon lange der Fall. Wie sonst ließe sich eine Oscarnominierung für Transformers III erklären?

Aber vor allem wirkt die streng hierarchische, entrückte Welt von Glanz und Glamour in Zeiten paritätischer Kommunikation und ambitionierter Indieproduktionen etwa so zeitgemäß wie eine Operette aus der Habsburg-Monarchie. Oder eben wie George Valentin in The Artist, der als alternder Star plötzlich mit ansehen muss, wie die Herzen der Massen nun der jungen, modernen Peppy Miller zufliegen. Und dem keine bessere Lösung einfällt, als an seinem Rollenfach des stürmischen Abenteurers festzuhalten und wie Howard Hughes im stillen Kämmerlein in den celluloidenen Erfolgen von einst zu schwelgen. Kein Wunder also, dass The Artist das Wohlwollen der Jury findet.

Die Magie der alten Schule

Vielleicht ist das aber auch schon eine Form von Krisenbewusstsein. Und der Versuch, der Massenware eines Bret Ratners etwas von der alten Magie entgegenzusetzen, die Hollywood damals groß gemacht hat. Eine Magie, die Scorseses Hugo einzufangen versucht, und für die er als zweiter großer Gewinner an diesem Abend auch ordentlich gefeiert wurde. Auf der Verleihung tat man es aber erstmal George Valentin gleich, und sonnte sich im Glanz vergangener Grandezza. Eine alte Hollywood-Weisheit sagt: “Fans love the Underdog”, und in diesem Fall war man eben selbst der Underdog. Man stellte sich vor den Spiegel, straffte die Schultern und lächelte noch einmal das Lächeln der großen Leinwand.

In The Artist führt die Erkenntnis des eigenen Scheiterns zu neuer Stärke: Der gefallene Star befreit sich aus dem Selbstmitleid und bricht zu neuen Abenteuern auf. Es bleibt zu hoffen, dass ähnliches auch in Hollywood passiert. Schnellstens. Die Magie der Großen Leinwand ist nämlich eigentlich etwas sehr zauberhaftes.