Liszt und Loriot

Am 22.8.2011 ist Loriot also gestorben. Ich habe heute beinahe den ganzen Tag damit verbracht, alte Videos von ihm zu schauen. Und irgendwie ist es seltsam, dass man am Todestag eines Menschen soviel über ihn lacht. Aber vielleicht auch nicht. Nicht, wenn der Tote einer der größten deutschen Komiker des letzten Jahrhunderts war.

An ihm, an Vicco von Bülow hat mich am meisten beeindruckt, dass dieser hochgebildete, feinsinnige Spross des preußischen Uradels sich nicht dafür zu schade war, mit falschen Zähnen eine Sahnetorte ins Gesicht zu bekommen. Im Gegenteil: er spielte solche Szenen mit Inbrunst und bewahrte dabei eine Haltung, die ihresgleichen sucht.

Im Gegensatz zu heutiger Comedy, bei der Witze am Fließband geschrieben werden, um sie dann schnell von albernen Kleinbürgern irgendwo aufsagen zu lassen, waren Sketche von Loriot kunstvolle Miniaturen, deren brillante Handwerkskunst in jeder Sekunde sichtbar ist. Deshalb kann man sich diese Sketche auch heute noch zum 20. Mal anschauen, ohne dass es langweilig wird. Loriot war albern, aber er nahm sein Publikum ernst und traute ihm Bildung zu. Das fand ich sehr schmeichelhaft.

Als Kind der Einheit muss ich der Fairness halber aber sagen, dass sein Werk bereits Nostalgie war, als es in mein Bewusstsein sickerte. All die Sketche, die er vom grünen Biedermeiersofa anmoderierte, persiflierten die alten muffeligen Tage der frühen Bonner-Republik, die ich glücklicherweise nur durch Filme mit Theo Lingen und Heinz Erhardt kannte. Der Witz entsprang immer dort, wo die stets angespannten Protagonisten mit aller Kraft die eigene Fassung oder Würde bewahren wollten, obwohl die Szenerie um sie herum immer absurder wurde. Und je mehr sie sich anstrengten, je verkrampfter die Menschen wurden, desto grotesker waren die Kapriolen, desto besser, brillanter und zeitloser wurde der Witz. Man denke nur an die Büroäffäre, die Nudel oder das schiefe Bild.

Einer meiner Lieblingssketche ist folgender:

Loriot spielt diesen Sketch live, gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern. Das Stück, dass der Großvater dort auflegt, ist Les Préludes von Franz Liszt. Liszt nun hatte eine Tochter namens Cosima, die später Richard Wagner heiratete. Bevor Cosima jedoch mit Wagner anbändelte, war sie bis 1870 mit Hans von Bülow verheiratet, der kurze Zeit später erster Chefdirigent der frisch gegründeten Berliner Philharmoniker wurde. Zum Zeitpunkt seiner Scheidung hatte ihn seine Frau bereits sieben Jahre mit Wagner betrogen.

Hans und Vicco von Bülow sind natürlich verwandt. Deshalb sagte Loriot auch, bevor die Berliner ihm die renommierte “Hans-von-Bülow-Medaille” verliehen und zu seinen Ehren einen Teil des Rings aufspielten, seine Familie hätte zu Wagner ja ein “interessantes Verhältnis”. Dieses Bild ist vielleicht ein später Seitenhieb auf jenes Verhältnis.

Das musikalische Werk, das Loriot oben dirigiert, hat außerdem eine ganz eigene Brisanz. Eigentlich ein wundervolles Stück, wenn nicht der letzte Teil zur sogenannten Russland-Fanfare vergewaltigt worden wäre, mit der die Wehrmacht im zweiten Weltkrieg ihre Berichterstattungen im Fernsehen angekündigt hat. Es ist im Sketch deshalb auch sicherlich beabsichtigt, dass die Musik just immer dann verebbt, wenn das Orchester gerade zu diesen schiksalsschwangeren Takten anhebt. Und dass der leicht reaktionär wirkende Großvater dann trotzdem während des großen Finales heldenhaft den rechten Arm gleich zweimal in die Luft erhebt, ist ebenfalls ganz bestimmt kein Zufall.

Es sind solche gesellschaftlichen Miniaturen, die Loriot zu einem derart grandiosen Humoristen gemacht haben. Dass es dabei nicht akademisch, sondern sehr unterhaltsam zugeht, ist eine noch größere Leistung. Vor allem merkt man an diesem Sketch aber auch, dass Vicco von Bülow nicht nur genial komisch, sondern durch seine Herkunft und sein Schaffen ungemein dicht in das kulturelle Netz der deutschen Geschichte verwoben war. Mit ihm stirbt nicht nur ein Stück des deutschen Humors, sondern auch ein Stück deutscher Geschichte.

Les Préludes übrigens wurde von Liszt als Symphonische Dichtung komponiert. Das Werk zeichnet auf musikalische Weise alle Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens auf dem Weg in den Tod. So heißt es auch als Motto auf der ersten Seite: „Was anderes ist unser Leben, als eine Reihenfolge von Präludien zu jenem unbekannten Gesang, dessen erste und feierliche Note der Tod anstimmt?

Vicco von Bülow hat in seinem 87 Jahren sehr, sehr viele Präludien erlebt. Meistens gute.