Prolog: Die schönsten Momente 2011

Verehrte Leserschaft, ich wünsche allseits ein frohes und glückliches neues Jahr.

So. Wo das jetzt geklärt ist, kommen wir zu den wirklich ernsten Dingen. Gute Vorsätze. Ich selbst habe mindestens 20, damit ich das ganze Jahr auch was von den Schuldgefühlen habe, wenn die Umsetzung der Vorhaben dann ausbleibt. Aber das geht wohl auch anderen so, wenn man den vorgestrigen Silvestergästen Glauben schenken mag. Ganz vorne mit dabei natürlich die Klassiker: Einerseits der ambitionierte Verzicht auf Alkohol, Zigaretten und Kohlehydrate, andererseits der durch zunehmenden Selbstekel oder missmutige Partner geförderte Versuch, sich den eigenen Terminkalender mit Sport, Bildung und Zeitfürdiewirklichwichtigendinge vollzustapeln. Aber so ist das zur Jahreswende: Der Konjunktiv hat Konjunktur, und die ganze Welt ergeht sich im kollektiven “Man müsste eigentlich mal…”

Bei Bloggern steht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit an erster Stelle der Wunsch, “mal wieder mehr zu bloggen”. Und anstatt mit zynischer Geste den vorsätzlichen Mainstream der noblen Projekte abzuwinken, reihe ich mich in den allseitigen Kanon ein. Und das hat einen Grund.

Warum eigentlich?

Bei all den unzweifelhaft guten Vorsätzen stellt sich mir nämlich immer die Frage, weshalb wir sie immer genau an Silvester treffen. Gut, sagen manche, bietet sich ja an. Eine Runde ist rum, jetzt schaut man planend auf die nächste. Der Projektmanager nennt das weltmännisch einen Milestone. Letzten Endes geht es also darum, das kommende Jahr in eine Art Version 2.0 des alten Jahres zu verwandeln. Die ganzen Bugs raus, dafür neue Features rein und vielleicht sogar noch die Benutzeroberfläche aufmöbeln.

Goethe sprach: “Das Beste, was wir von der Geschichte haben, ist der Enthusiasmus, den sie erregt.” Man schaut Silvester also zurück und fragt sich, was man wohl im nächsten Jahr machen soll. Dieser Enthusiasmus wird beim Jahresrückblick demnach sowohl vom Guten, aber eben auch vom Schlechten erregt. Und vor allem das Schlechte lässt uns an Silvester im Kreise allgemein alkoholisierter Sentimentalität sehr enthusiastisch jene neuen Vorsätze schmieden, die das alte Übel vom neuen Jahr fernhalten sollen. Fett? Weniger Süßigkeiten! Unbeliebt? Mehr Freunde! Krank? Keine Zigaretten! Ab morgen alles anders!

Vielleicht ist genau das aber auch der Grund, weshalb gute Vorsätze immer so schnell aufgegeben werden: Weil ihre Ursache eigentlich im Schlechten liegt. Im schlechten Gewissen, im schlechten Verhalten, in schlechten Gewohnheiten. Ob es andersrum besser funktioniert? Aufhören zu Rauchen, weil man besser schmecken kann, weil man Geld spart, weil man wieder Sport machen kann, weil man länger lebt. Nicht, weil man sonst Krebs bekommt. Oder Abnehmen, weil man schönere Klamotten tragen und seinen Waschbrettbauch bewundern will. Nicht, weil man sich hässlich fühlt. Eigentlich eine psychologische Binse: Positiver Drang statt negativem Zwang.

Ein Vorschlag zur Güte.

Man müsste zu Silvester also eigentlich dastehen, Sektglas in der Hand haltend und denken: Was war das für ein schönes Jahr. Ob das noch besser geht? Auf zum stetigen Wachstum. Was in der Wirtschaft immer herbeigeschönt wird, sollte doch beim Menschen eigentlich viel leichter sein. Frei nach Hegel: Die eigene Geschichte als Fortschritt im Bewusstsein der schönen Dinge. Aber das ist leichter geschrieben als getan. Denn zumindest mir fällt es oft schwer, das jeweils vergangene Jahr in seinen kleinen, sehr schönen Momenten richtig wertzuschätzen, weil ich mich zum Ende hin oft gar nicht mehr daran erinnere. Natürlich hat man immer die ganz großen Knaller auf dem Schirm, aber so ein rundum gelingendes Leben sollte man ja nicht nur auf Job, Kinder und Lottogewinn herunterschrauben.

Aus diesem Grund starte ich jetzt den wohl längsten Prolog in der Geschichte der medialen Jahresrückblicke. Ich werde ab morgen jeden Tag einen kleinen schönen Moment des Vortages twittern (@Reiseheld, Hashtag #2011 ), und das Ganze dann in einem kurzen wöchentlichen Digest hier im Blog veröffentlichen. Ich hoffe natürlich, dabei Kitsch und Trivialität aus dem Weg zu gehen, obwohl das mit der Trivialität in diesem Medium nicht ganz so einfach ist. Mal schauen, ob ich das 365 Tage im Jahr durchhalte. Wahrscheinlich wird es hier und dort Ausfälle geben, aber eigentlich sollte das doch zu berwerkstelligen sein. Man hängt doch sowieso die ganze Zeit im Netz rum, da kann man auch mal kurz via Twitter einen Satz in den Äther schicken.

In einem Jahr habe ich dann hoffentlich rund 350 Tweets mit kleinen Angenehmlichkeiten, die mir den Jahresrückblick 2011 auf Hochglanz polieren. Dann kann ich nämlich am Silvesterabend auf all die schönen kleinen Momente zurückblicken und mir im feisten Bewusstsein meines Glücks völlig zu Recht den Schampus hinter die Binde gießen. Und am nächsten Morgen den realistischen Entschluss fassen, nie wieder Alkohol zu trinken. Prost Neujahr!