TR – 3. Akt

Wir erinnern uns (hier und hier): Douglas Quaid ist ein einfacher Bauarbeiter, der von Größerem träumt. Er maßt sich deshalb an, durch einen sog. Ego-Trip (eine künstliche Erinnerung) der Firma Rekall dieses Schicksal infrage zu stellen. Dies geht jedoch gründlich schief, und Douglas driftet hinab in die Niederungen des Wahnsinns. Douglas lebt all jene Fantasien aus, von denen er im wirklichen Leben nur geträumt hat: Er ist jetzt Geheimagent, wird verfolgt, will die Welt retten und die Frau erobern. Dabei sitzt er in tatsächlich immer noch bei Rekall und ist unter absoluter Leugnung der Realität völlig in seiner Schizophrenie gefangen.

Wie in einer klassischen Tragödie tritt bei Total Recall die Katastrophe allerdings erst durch die Hybris ein, also die anmaßende Überheblichkeit des Protagonisten. Und so versagt der Held natürlich bei der entscheidenden Prüfung: Obwohl ihm ein Herold der realen Welt sehr eindringlich die Lage und die drohende Gefahr schildert, bleibt Douglas seinem Wahn verhaftet. Und wie die tragischen Helden der antiken Tragödien schlägt auch Douglas in seiner wahnhaften Wut die Warnung vor der Wahrheit willentlich in den Wind. Welch wundervolle Wortreihe mit W.

Der Herold stellt sich nicht umsonst als Dr. Edgemar vor: Douglas steht hier buchstäblich on the edge of sanity, also an der Schwelle zwischen Vernunft und Wahnsinn. Und dann bläst er ihm die Birne weg. Soviel zur Vernunft.

Der Tragödie letzter Teil

Jetzt tritt all das ein, was Edgemar prophezeit hat:

“In your mind I’ll be dead, and with no one to guide you out, you’ll be stuck in permanent psychosis. The walls of reality will come crashing down. One minute, you’re the savior of the Rebel cause, next thing you know you’ll be Cohaagen’s bosom buddy. You’ll even have fantasies about alien civilizations as you requested, but in the end, back on Earth you’ll be lobotomized!”

In der Tat zerbricht direkt nach dem tödlichen Schuss die Wand des Apartments, sozusagen symbolisch für die walls of reality der Psyche. Ein furioser letzter Akt schließt sich an, indem er tatsächlich vom Anführer der Rebellen als Erlöser gefeiert wird, nur um kurze Zeit später zu erfahren, dass er eigentlich der beste Freund des großen Bösewichts Vilus (!) Cohaagen ist. Aber Douglas (und mit ihm der Zuschauer) erlebt das alles natürlich als großes Abenteuer. In einem großen Finale kann er den Bösewicht überwinden und – man ahnt es schon – den mysteriösen Alien-Reaktor einschalten, der durch geheimnisvolle Technologie die vollständige Zivilisierung des Mars ermöglicht.

Verblendung und Tod

All dass betrachtet der Zuschauer allerdings aus der Perspektive von Douglas, und damit als spannendes Abenteuer. Tatsächlich erleben wir hier aber eine klassische Verblendung: Eine Verblendung des tragischen Helden, weil dieser der Hybris, also der Anmaßung und Selbsterhöhung verfällt. Die Hybris von Douglas besteht in diesem Fall in der Weigerung, sein Schicksal, also seine soziale Existenz zu anzunehmen: Er ist kein Geheimagent. Er ist Bauarbeiter. Der prophetische Rebellenführer Kuato bringt es auf den Punkt:

You are what you do. A man is defined by his actions, not his memory.

Indem aber Douglas durch gefälschte Erinnerung in ganz und gar narzisstischer Weise versucht, diesem Schicksal zu entkommen, wird er anmaßend und fordert das Schicksal heraus. Und wie in einer griechischen Tragödie schlagen ihn die Götter (bzw. die gottgleiche Technologie der Zukunft) mit Blindheit. Keine visuelle Blindheit, sondern eine Verblendung im umfassenden Sinn. Diese Welt der Geheimagenten, in die sich Douglas und der sich mit ihm identifizierende Zuschauer flüchtet, würde der altehrwürdige Theodor W. Adorno wohl als Verblendungszusammenhang bezeichnen: Als vollkommener Wahn, der die Realität verleugnet. Verleugnen muss, weil die Wahrheit zu schmerzhaft und kaum zu ertragen wäre.

Ein hinterhältiger Film

Das perfide an Total Recall: Wir glauben Douglas seine Geschichte. Denn während wiederum Adorno sagt, dass die Kunst prinzipiell dazu in der Lage sei, einen Verblendungszusammenhang zu durchschlagen, bleibt der Film dem Zuschauer genau das schuldig: Hier wird nichts durchschlagen. Hier wird der Zuschauer ziemlich hinterhältig aufs Glatteis geführt. Und das ist ganz und gar richtig: Denn sind es nicht die Filme der großen Traumfabrik, die unsere nüchterne Realität mit schönen Geschichten auskleiden? Sind es nicht die Filme, die uns Realitäten vorgaukeln? Und wie kann ein solches Werkzeug der Verblendung diesen Zusammenhang durchschlagen?

Schwerlich. Die Tragödie von Douglas Quaid ist also auch eine Tragödie des Zuschauers. Er identifiziert sich mit dem markigen Helden des Films und wird mit ihm in den Abgrund der wahnhaften Traumwelt gesogen. Am Ende erstrahlt alles in weißem Licht. Der entsprechende Titel auf dem Soundtrack des Films lautet „End Of A Dream“. Und genau das ist es: Das Ende eines Traums, der zur Realität geworden ist. Der Tod.

Und wer Inception gesehen hat, wird verstehen, weshalb folgendes Trailer-Mashup die Geschichte von Total Recall auf den Punkt bringt.