Das Kino als kollektiver Traum

Der zweite Teil von Everything is a Remix von Kirby Ferguson ist endlich fertig. Ich bin durch einen Artikel auf Spreeblick darauf aufmerksam geworden. Ging es beim ersten Mal um Musik, geht es jetzt um Filme. Fergusons Thema ist auch im zweiten Teil das gleiche: Die Selbstähnlichkeit von kulturellen Phänomen. Es geht um das bewusste und das unbewusste Zitieren von Filmemachern, die ihre eigene Geschichte in mehr oder weniger uneigenen Bildern und Symbolen erzählen.

Das erinnert mich an die Traumdeutung im Sinne von Carl Gustav Jung. Bei Jung geht es nämlich auch um quasi allgemeingültige Symbole, die im Traum als Ausdruck unbewusster Gedanken in die visuelle Wahrnehmung des Träumenden sickern. Jung geht dabei von einem sog. kollektiven Unbewusstem aus, dem bestimmte archetypische Bilder und Figuren entstammen. Ich hatte an anderer Stelle schon mal darüber geschrieben, das ganze Blog hier kreist ja sowieso um dieses Thema. Diese Archetypen sind Ausdruck bestimmter kollektiver Erfahrungen: Geburt, Tod, Leben, Liebe, Trauer, Verlust, Freude, Erfolg und so weiter. Erfahrungen, die jeder Mensch zwar aus unterschiedlichem Grund, aber auf gleiche Weise erlebt: Trauer fühlt sich immer gleich an, Freude auch und Liebe sowieso. Und Deshalb hat auch jede Kultur gewisse allgemeingültige Formen herausgebildet, die diese Erfahrungen allgemeingültig symbolisieren. Ganz einfaches Beispiel: Ein rotes Herz. Was verbindet man damit? Na also.

Mit fremden Schmerz den eigenen ausweinen

Was das mit Kino zu tun hat? Nun, man nennt Hollywood nicht umsonst eine “Traumfabrik”: Hier werden mit genau diesen archetypischen Bildern Emotionen heraufbeschworen, Gefühle geweckt und Geschichten erzählt, in die sich bestenfalls jeder hineinfühlen kann – eben weil sie mit allgemeingültigen Bildern arbeiten. Schiller schrieb mal über das Theater, man würde mit fremdem Schmerz den eigenen ausweinen. Genau so funktioniert auch Hollywood. Weil man in der Geschichte von Tom und Summer eben nicht nur Tom und Summer, sondern auch sich selbst und diese eine Freundin von damals sieht. Das Leben spiegelt sich in der Fiktion. Oder genauer: Man lässt sein eigenes Leben sich in der Fiktion spiegeln.

Dementsprechend schreibt auch der Medienwissenschaftler Werner Faulstich in seiner Einführung in die Filmanalyse davon, dass ein Kinobesuch einem kollektiven Traum gleicht: Die Zuschauer sinken in die Sessel, das  Licht geht aus und aus dem Dunkel werden Bilder heraufbeschworen. Dabei sehen Alle dasselbe, aber jeder hat ganz eigene Assoziationen und Gefühle bei diesen Bildern.

Was zu beweisen war…

Der Film von Ferguson ist gewissermaßen der Versuch eines Beweises: Dass Kino eben genau so funktioniert. Dass dabei aber die Selbstähnlichkeit der Filme nicht zwangsläufig ein Ausdruck von Faulheit, Einfallslosigkeit oder Einerlei ist, sondern eben nur die konsequente Weiterführung dessen, was auch Mythen, Sagen, Märchen und all die anderen Geschichten der menschlichen Kulturgeschichte ausmacht: Die Variation des Bekannten. Die Aktivierung des kollektiv Unbewussten in Form von bekannten und deshalb subtext- und symbolträchtigen Bildern, um im Zuschauer ganz elementare Grundgefühle hervorzurufen. Und deshalb weinen wir auch im Kino mit fremden Schmerz den eigenen aus. Tränen der Rührung, der Trauer und der Freude – aber eben nicht aus fremder Rührung, Trauer oder Freude, sondern aus unseren ganz eigenen Erfahrungen in dieser Hinsicht, die uns der Film wieder ins Bewusstsein ruft.

Und jetzt schaut euch bitte Kirby Fergusons Film an und gebt mir recht.